samedi 1 novembre 2014

Zeitumstellung - ein zeitgemäßes Ritual?









Wenn einer eine Reise tut, dann er kann was erzählen. Drum nähme ich den Stock und Hut und tät´das Reisen wählen.“ Ob Matthias Claudius (1740 bis 1815) dieses Gedicht auf einer Reise schrieb, ist nicht bekannt. Richtig ist, dass an der Aussage sich bis heute nichts geändert hat, lediglich die Arten des Reisens und der Zeitbedarf sind heute vollkommen andere als damals, es sei denn, man reist zu Fuß.



Wollte man verreisen, so war es üblicherweise geschäftlicher Natur, denn der normale Bauer unternahm keine Reisen, er bewegte sich von seinem Hof aus nur in einem geringen Umkreis. Man avisierte seinen Besuch in einem Brief und teilte darin mit, wann man ungefähr eintreffen wird. Genauer ging es ja nicht, die Straßen und Wege waren schlecht, der Kutsche konnte ein Rad brechen, ein Weg unpassierbar sein, eine Brücke konnte eingestürzt sein, schlechtes Wetter einen an der Weiterfahrt hindern, eine Vielzahl von Unwägbarkeiten waren ständiger Reisebegleiter. Außerdem gab es keine einheitliche Uhrzeit, die in Frankfurt/M. genauso gültig war wie in Berlin. Es galt immer die jeweilige Ortszeit, häufig wurde die noch nach der Sonnenuhr bestimmt, oder aber die Kirchturmglocken trugen die Uhrzeit weit hörbar ins Land, und nach der Sonne ist Mittag dann, wenn sie ihren höchsten Punkt erreicht hat. Das galt für Jever genauso wie für Kassel, Leipzig, Stuttgart und in jedem anderen Dorf und Städtchen ebenfalls. Punkt. Ganz einfach. Bis jetzt. Denn die Sonne erreicht ihren höchsten Punkt in Berlin früher am Tag als in Frankfurt/M und in Warschau noch früher als in Berlin. Für eine Reise mit der Kutsche war dies ganz unerheblich, da man sowieso mehrere Tage unterwegs war, es kam also nicht auf die Stunde oder gar Minute an. Es wurde erst kompliziert, als der technische Fortschritt uns die Eisenbahn brachte, mit der auch größere Entfernungen schnell überwunden werden konnten.



Je weiter das Eisenbahnnetz sich ausbreitete, desto komplizierter wurde es ohne eine allgemein gültige Zeit vorherzusagen, wann ein Reisender seinen Zielort erreichen wird, denn es galt ja auf der gesamten Wegstrecke die jeweilige Ortszeit. Noch schwieriger wurde es, wenn man unterwegs an einem Bahnhof umsteigen musste. Hier galt es dann, die jeweilige Ortszeit mit der bei Abfahrt zu Beginn der Reise bekannten Reisezeit in Übereinstimmung zu bringen, denn der Zug, in den man umsteigen wollte, kam ja seinerseits auch wieder aus einer anderen Richtung. Zwar ist die Fahrzeit für 200 km Eisenbahnstrecke, ähnliche Geographie der Strecke und Geschwindigkeit des Zuges vorausgesetzt, gleichlang, aber die Abfahrt- und Ankunftszeiten der aus verschiedenen Richtungen kommenden Zügen ermittelten sich aus deren jeweiligen Ortszeiten bei Abfahrt. So konnte also das Erstellen von Fahrplänen innerhalb des damaligen Deutschland mit seinem Flickenteppich an Herzogtümern und Königreichen sich schon zu einer sehr komplexen Aufgabe entwickeln, in der hier z. B. sieben Minuten von der Ortszeit abgezogen, dort fünf Minuten hinzugerechnet werden mussten. Es begann also mit den Eisenbahngesellschaften, die damit anfingen, ihr Streckennetz in Zeitzonen zu unterteilen, um die jeweiligen Ortszeiten irgendwie aufeinander abzustimmen und damit den Zugverkehr besser koordinieren zu können. Es begann allerdings nicht in Deutschland, sondern in Amerika.



Wir haben am vergangenen Wochenende, ja, was denn nun, vor- oder zurückgestellt? Da beginnt schon die Verwirrung, man ändert einfach die Uhrzeit. Warum kann nicht Mittag einfach Mittag sein, zum Höchststand der Sonne? Manch einer mag denken, diesen Blödsinn kann sich wieder nur die reglementierungswütige EU ausgedacht haben, ein anderer erinnert sich an die Ölkrise 1973 oder 1979/1980. Da gab es doch mal was, autofreie Sonntage, um Öl zu sparen. Und begann da nicht auch die Zeitumstellung von Winterzeit als Normalzeit und Sommerzeit, um das Tageslicht besser ausnutzen und Energie sparen zu können? Das ist zwar richtig, aber es begann schon viel früher:



1797 – Benjamin Franklin formuliert den Gedanken, morgens früher aufzustehen um abends Kerzenlicht zu sparen



1883 – US-Eisenbahnunternehmen führen die Zeitzonen in ihren Fahrplänen ein, eine Stunde entspricht 15 Längengraden



1884 – Meridiankonferenz in Washington. Hier wird Greenwich, in der Nähe von London gelegen, als internationaler Bezugsmeridian festgelegt (GMT - Greenwich Mean Time, seit 1972 UTC – Universal Time Coordinated)



1891 – Österreich-Ungarn und die deutschen Bahnverwaltungen führen die Mitteleuropäische Eisenbahnzeit (MEZ = GMT + 1 Stunde) ein



1892 – Einführung in einzelnen deutschen Staaten (Königreich Bayern, Großherzogtum Baden, Königreich Württemberg)



1893 – „Gesetz betreffend die Einführung einer einheitlichen Zeitbestimmung“, gültig für das gesamte Deutsche Reich, Basis ist der 15. Längengrad Ost (15° entsprechen einer Stunde), weil er in etwa durch die Mitte des damaligen Reiches führte. Görlitz liegt auf ca. 15° östlicher Länge, Berlin auf etwa 13° östlicher Länge.



1894 – Einführung in der Schweiz



1907 – William Willet, ein englischer Geschäftsmann, fordert eine Zeitumstellung, um Ressourcen zu schonen, kann sich aber nicht mit seiner Forderung durchsetzen



1916 – 1918 Erstmals Einführung einer Sommerzeit in Deutschland



1940 – 1942 galt im Deutschen Reich durchgängig die Sommerzeit



1943 – 1944 wurde wieder zwischen Sommer- und Winterzeit gewechselt



1945 – Im April Umstellung auf Sommerzeit, nach Kriegsende wurde die Zeit durch den Alliierten Kontrollrat festgelegt. So gab es 1945 – 1947 sogar eine Mitteleuropäische Hochsommerzeit (MEZ + 2 Stunden), die in der sowjetischen Besatzungszone und Berlin galt. 1947 galt sie für ganz Deutschland.



1950 – 1979 gab es keine Sommerzeitregelung in Deutschland



1978 – In Abstimmung mit der DDR wurde die Sommerzeit wieder eingeführt, trat aber erst 1980 in Kraft



1996 – Die bis dahin unterschiedlichen Sommerzeitregelungen innerhalb der EU werden vereinheitlicht und zunächst immer für ein Jahr verlängert



2008 – Die jährlichen Verlängerungen werden unbefristet. Rechtliche Grundlage ist § 5 des Einheiten- und Zeitgesetzes, für die technische Umsetzung ist die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig mit ihren Atomuhren verantwortlich. Diese werden mit dem Langwellensender DCF77 in Mainingen bei Frankfurt/Main abgeglichen und von dort erhalten alle Funkuhren ihr Signal.



Im März 2009 hatte die damalige Abgeordnete im Bundestag der FDP, Gudrun Knopp, weshalb trotz immenser Kosten z. B. in der Logistikbranche und der Illusion von Energieeinspareffekten nach wie vor an der Zeitumstellung festgehalten wird. Die Antwort von Walter Otremba, damals Wirtschaftsstaatssekretär, lautete: „Weil alle es so machen“. Die wissenschaftlichen Fakten sind entweder „nicht bekannt“ oder werden „für nicht maßgeblich“ gehalten, es gehe allein um die „Harmonisierung der Sommerzeit“ in der EU, denn diese sei für „ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes“ unerlässlich. Deshalb sei mit einer Abschaffung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Anzumerken ist hier, dass im Vereinigten Königreich und seit 1996 im Kontinentalteil Portugals die UTC /GMT gilt, und nicht die MEZ, so sehr harmonisch ist es also in der EU nicht.



Russland hat in diesem Jahr die die Winterzeit dauerhaft wieder eingeführt, nachdem seit 2011 ganzjährig die Sommerzeit galt. Zugleich wurden die Zeitzonen, in die das Land unterteilt ist, wieder auf die ursprünglichen elf statt neun erhöht. In der dortigen Bevölkerung ist ca. 1/3 froh über die nun dauerhaft wieder gültige Winterzeit, ca. 1/3 hätte gerne den vormals üblichen Wechsel von Sommer- und Winterzeit zurück.



Es ist in der EU und auch bei den Energiekonzernen unstrittig, dass die Einspareffekte nicht eintreten. Zwar wird in den Sommermonaten das Licht später eingeschaltet, dafür aber im Frühjahr und Herbst auch die Heizung. Der zunehmende Einsatz von Energiesparleuchtmitteln wird eher noch dazu führen, dass die Bilanz negativ wird. Der Chronobiologe Thomas Kantermann fordert die Abschaffung der Sommerzeit. Die Umstellung auf die Sommerzeit macht den Menschen, deren Tagesrhythmus nach hinten verschoben ist, den „Spättypen“, mehr zu schaffen. Die Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin erklärte, dass rund acht Prozent mehr Verkehrsunfälle geschähen durch die veränderte Uhrzeit. Der Hell-Dunkel-Rhythmus fordert von Menschen Zeit der Eingewöhnung. Zu beobachten ist ebenfalls, dass Krankenhauseinweisungen wegen Herzbeschwerden in dieser Zeit ansteigen, und zwar um 25%. Auch steigt die Einnahme von Schlafmitteln und Antidepressiva. Landwirte klagen darüber, dass die Melkzeiten der Kühe sich nur über mehrere Tage oder Wochen verschieben lassen.



Einige Politiker, wie Ilse Aigner, setzen sich für die Abschaffung der Uhrenumstellung zwar ein, allerdings sagte Regierungssprecher Steffen Seibert Ende Oktober 2014, dass dies derzeit kein Thema für die Regierung sein, zumal dies mit 28 EU-Staaten abgestimmt werden müsste. Auffällig ist allerdings, dass der Parteitag der CDU im April 2014 in Berlin den Beschluss fasste, sich für die Abschaffung der Uhrenumstellung in der EU einzusetzen. Sie sei teuer und umständlich und es gäbe gesundheitliche Beeinträchtigungen von Mensch und Tier.



Der technische Aufwand für die Umstellung der heimischen Funkuhr ist überschaubar, da diese über den Langwellensender DCF77 ihr Signal bekommen. Der Sender schickt die Signale ebenfalls an etwa 50.000 Verkehrsampeln, öffentliche Funkuhren, die Uhren der Deutschen Bahn, Fahrsteuerungen der U-Bahnen sowie an die Steuerungstechnik der Kraft- und Umspannwerke. Die meisten Computeruhren werden über das Betriebssystem gestellt, allerdings müssen bestimmte Programme mit Echtzeitfunktion manuell konfiguriert werden. Probleme können ebenfalls bei Systemen auftreten, die nur von einem autorisierten Personenkreis überwacht und betreut werden. Sollte es hier zu Verzögerungen kommen, können die aufgezeichneten Ereigniszeiten falsch und die daraus resultierende Auswertungen ebenfalls falsch sein. Viele Betriebssysteme nutzen als Uhrzeit die Koordinierte Weltzeit UTC. Kosten entstehen ebenfalls bei Einrichtungen und Institutionen, die rund um die Uhr besetzt sind. Hier müssen eigene Dienstpläne erstellt werden, was Geld kostet, damit bspw. die Länge des Dienstes bzw. vorgeschriebene Ruhezeiten nicht mit gesetzlichen Vorgaben kollidieren. Bei der Bahn sind nicht nur Personenzüge, sondern auch Güterzüge betroffen. Da muss mit vorgezogenen Abfahrtzeiten, verkürzten Aufenthaltszeiten bei Nachtzügen, anhalten lassen an geeigneten Bahnhöfen usw. jongliert werden. Fahrten, die im Stundentakt stattfinden hingegen kann man einfach ausfallen lassen. Teilweise müssen besondere Fahrpläne erstellt werden sowie zusätzliche Züge samt Personal bereitgestellt gestellt werden, all dies kostet Geld.



Wozu also das halbjährliche hin und her? Ach ja, die Antwort gab ja schon Walter Otremba: „Weil alle es so machen“. Und sehr frei nach unserem ehemaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss: „Nun funktioniert mal schön“.





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